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Die Schattenseite der Liposuktion bei Lipödem – Wovon kaum jemand spricht

Die Liposuktion bei Lipödem ist derzeit in aller Munde. Gesundheitsminister Spahn, der GBA und diverse Instanzen des Netzwerkes arbeiten daran, die operativen Maßnahmen zur Kassenleistung zu machen. Es ist wichtig, hier endlich eine faire Grundlage für die Liposuktion als gleichwertige Säule der Lipödem-Therapie zu etablieren. Jedoch lässt mich der Eindruck nicht los, dass diese Eingriffe zu unkritisch beäugt und auch romantisiert werden. Denn schließlich handelt es sich hier um mehrmalige massive Eingriffe, die nicht nur physische Risiken mit sich bringen.


Die Euphorie

Lipödempatientinnen können sich glücklich schätzen, dass es die Liposuktion als Symptombehandlung gib. Für Lymphpatienten wird zwar in der Mikrochirurgie nach operativen Möglichkeiten geforscht, jedoch bieten die Ergebnisse aktuell noch keinen Grund zur Euphorie.

Euphorie ist genau das richtige Stichwort. Seit einigen Jahren ist die Lipödem-Community sehr stark auf die operative Maßnahme und Hoffnung auf Beschwerdefreiheit geeicht. Operateure und ihre Ergebnisse werden verglichen, Kosten erstritten oder vom Munde abgespart und nicht selten alles an körperlichem und psychischem Wohlbefinden davon abhängig gemacht.

Nun stell dir einmal vor: Du bist operiert, hast all das investiert und stellst fest, dass du danach nicht beschwerdefrei geworden bist. Willkommen in meinem Leben.


Behalte einen kühlen Kopf

Ich bin oftmals sehr vorsichtig mit meiner Meinungsäußerung. Das Leid vieler unserer Mitkämpferinnen ist groß und dies lässt sie vehement an diesem unanfechtbaren Lichtblick festhalten.

Caroline Sprott

„Dünnere Arme und Beine, Entlastung, weniger Schmerzen, keine therapeutischen Maßnahmen mehr nötig.“

Das propagieren die praktizierenden Chirurgen und sprechen zum Teil sogar fahrlässiger Weise von Heilung. Es werden manchmal Zahlen aus der eigenen Praxis vorgelegt, die eine traumhafte Erfolgsquote versprechen. Mit jedem Argument für die Liposuktionen steigen und steigen die Erwartungen an den persönlichen OP-Erfolg und mit ihr auch die Fallhöhe, sollte das Ergebnis ihnen nicht entsprechen.

Spielst du mit dem Gedanken, dich operieren zu lassen? Dann möchte ich dir einen wertvollen und reflektierten Ratschlag mit auf den Weg geben:
Gehe so skeptisch und nüchtern an diese Sache heran, wie es dir nur möglich ist. Wäge genau ab, ob du Gefahr läufst, alles auf eine Karte zu setzst und dich zu sehr auf die Liposuktion zu verlässt. Denn am Ende sind es auch nur Operationen, denen wie jeder andere Eingriff auch, nur mit vorsichtigem Optimismus entgegengetreten werden sollte.


Nicht immer läuft alles nach Plan

Meine Liposuktionen ließ ich 2015 vornehmen. Ich war zu dem Zeitpunkt 26 Jahre alt und in der für mein Leben bedrohlichsten Sackgasse. Obwohl ich optisch keine dramatischen Ausmaße vorweisen konnte, wurden die Schmerzen immer stärker. Bis zuletzt verringerte sich die Zeit, in der ich angewinkelt in Bahn oder Auto sitzen konnte, nur noch auf eine dreiviertel Stunde. Mit dieser Reiseunfähigkeit wuchsen in mir die Zukunftsängste und so entschied ich, mir durch die Liposuktionen Erleichterung, vielleicht sogar Beschwerdefreiheit zu verschaffen. An dieser Stelle muss ich meinem Operateur dankbar sein, mich so ehrlich aufgeklärt zu haben. Denn nicht immer läuft alles nach Plan.

Wie du vielleicht schon bemerkt hast, ich hatte kein Glück. Nach einem knappen Jahr nahm ich die konservative Therapie wieder auf. Es geht mir bis heute deutlich besser als vor den Liposuktionen. Dennoch muss ich schmerzbedingt täglich auf meine Kompression zurückgreifen.


Der psychische Druck wird unterschätzt

Was die Hoffnungen, die Strapazen der Operationen und der Heilungsphase, die finanzielle Belastung und das letztendlich völlig individuelle Ergebnis mit unserem Kopf machen, wird in meinen Augen selten im Detail beleuchtet.

Wenn die Liposuktion bei Lipödem nicht so verläuft, wie man sich das gewünscht hat, steht man vor einer großen psychischen Herausforderung. Die Enttäuschung ist groß, man stellt alles in Frage und steht vom Empfinden her wieder ganz am Anfang. Nur mit deutlich weniger Nerven und Kraft. Unterschätze nicht die Belastung vor, während und nach den Operationen.

Caroline Sprott

Daher: Je tiefer die Erwartungen, desto niedriger der Fall in die Realität. Wenn ich mal wieder einen schlechten Tag habe, die Schmerzen in mir hochkochen und mein Optimismus einen harten Kampf mit der Frustration führt, muss mein Mantra greifen:
„Ich habe Lipödem, das Lipödem hat nicht mich.“

Russisch Roulette

Wenn ich auf Kongressen und Veranstaltungen die Vorträge der Ärzte höre, schnappe ich hier und da mal Zahlen auf. Wenn eine Erfolgsquote von 30 oder 40% fällt, wird mir manchmal ganz anders. Natürlich gibt es die verschiedensten Statistiken, je nach Arzt oder Studie. Aber wenn wir sie einmal skeptisch und nüchtern (wir erinnern uns an den verdammt guten Tipp von vorhin) betrachten möchten, dann wollen wir doch eigentlich nicht blind allen Zahlen derer glauben, die damit am Ende auch Geld verdienen. Das würden wir in den seltensten Fällen in anderen Branchen tun, warum dann hier von der unerschütterlichen Hoffnung blenden lassen?

Die Chance auf Beschwerdefreiheit gibt es und wir dürfen uns regelmäßig von ihr in Foren und Selbsthilfegruppen überzeugen. Nur würde ich mir wünschen, dass alle anderen Stimmen über Komplikationen, Risiken, Spätfolgen oder durchwachsenen Ergebnissen ebenso laut wären, wie die, die stolz von einem neuen Leben berichten.

Verstehe mich nicht falsch, die Liposuktionen sind eine wichtige und notwendige operative Maßnahme und zum Glück haben wir diese Möglichkeit. Ich bin froh, bisher den Zustand vor den OPs nicht wieder erreicht zu haben. Dennoch liegt es mir am Herzen, all denen, die nicht zu den Beschwerdefreien gehören oder Komplikationen erfahren haben, zu signalisieren, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind.

Der Austausch und vor allem die Aufklärung sind in beiden Richtungen von höchster Wichtigkeit. Sowohl für die Licht- als auch für die Schattenseite der Liposuktion bei Lipödem.


Dieser Artikel erschien im Patientenmagazin „Lympholife“ Ausgabe 38 des Lymphologicum e.V.

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Dieser Artikel ist in Kooperation mit medi entstanden.
Bilder: Michaela Kern


Wer bloggt hier: Caroline Sprott

Caroline Sprott ist nicht nur eine bekannte Lipödem-Betroffene, sondern auch Autorin, Vortragsrednerin, Kompressionsmodel, Podcast-Moderatorin und inspiriert seit vielen Jahren als motivierende Healthfluencerin in den sozialen Medien tausende von Flachstrick-Heldinnen. Statt sich von ihrer Erkrankung Lipödem entmutigen zu lassen, nutzt sie ihre jahrelange Erfahrung, um anderen auf verschiedensten Plattformen Mut zu machen und Bewusstsein für diese oft missverstandenen Krankheiten zu schaffen. Bekannt für ihr herzliches und ehrliches Engagement für Menschen mit Lip- und Lymphödemen, ist sie zu einer wichtigen Stimme in der Community geworden. Die „Power Sprotte“, wie sie sich selbst nennt, betreibt die umfangreichste patientengeführte Website für Menschen, die eine Kompressionsversorgung tragen, und einen Online-Shop für alles, was man für ein gutes Selbstmanagement braucht.


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